Steffen Jobst

Rüsselsheim erfährt seit 30 Jahren einen massiven Wandel in allen Bereichen. Die Veränderungen in der Wirtschaft und in der Bevölkerungszusammensetzung gehen einher mit einem Verlust an Identität und Selbstwertgefühl.
Viele Rüsselsheimer stehen ihrer Stadt kritisch gegenüber.
Man denkt sehnsüchtig an alte Zeiten und die einstige Zuversicht mit der ständig Neues gewagt und Fortschritte gemacht wurden, ist verflogen.
Wir haben aufgehört, Probleme klar zu benennen, weil wir Angst haben, damit die Stadt schlecht zu reden. Und wir haben die Hoffnung aufgegeben, dass wir damit etwas ändern.

Aber Fakt ist:

Die letzte große Firmenansiedlung ist mit Hyundai genau 20 Jahre her.
Es ist 20 Jahre lang nicht gelungen, einen Investor für das leerstehende Karstadtgebäude zu finden, sodass wir es aus Verzweiflung selbst kaufen mussten.
Im Opel-Altwerk passiert seit 17 Jahren nichts und jetzt kommt noch ein viel größeres Opel-Gelände dazu. Wer glaubt denn ernsthaft, dass wir das Mammutprojekt und dazu noch die Eselswiese mit der Unprofessionalität, mit der wir schon bei einem überschaubaren Projekt wie dem SC Opel-Gelände scheitern, vernünftig abarbeiten können?
Hinzu kommt der Sanierungsstau an der schon vorhandenen Infrastruktur, der schneller als bisher abgearbeitet werden müsste.
Das alles muss zudem auch irgendwie finanziert werden.
Hierzu bedarf es einer soliden Planung und Prioritätensetzung, die bisher nicht einmal ansatzweise zu erkennen ist.

Alleinstellungsmerkmale

Wir bewegen uns bei allen Projekten in Rüsselsheim immer im Mittelmaß. Wir sind mit viel zu wenig zufrieden und haben unsere Ansprüche längst viel zu weit runtergeschraubt. Es gibt keine Entwicklung, die herausragenden Charakter hat und als Alleinstellungsmerkmal fungiert.

• Lange ist es her, dass z.B. das Rüsselsheimer Stadtmuseum mit einem völlig neuen Konzept europaweit Furore machte.

• Lange ist es her, dass andere Städte auf Rüsselsheim geschaut haben, weil die Seniorenpolitik mit ihren dezentralen Angeboten ein zukunftsweisendes Konzept war.

• Lange ist es her, dass das „Rüsselsheimer Modell“ in der Jugendgerichtsbarkeit mit völlig neuem Konzept von vielen anderen Städten übernommen wurde.

Ein Beispiel:

Potential sehe ich hier bei der Erzieher- und Erzieherinnen-Ausbildung.
Wenn Rüsselsheim hier ein Pilotprojekt startet und die Ausbildung auf drei Jahre, bei Beibehaltung der Wertigkeit der Ausbildung, verkürzt, wären wir die Ersten, die ein Problem angehen, das alle Kommunen plagt.

Initiative

Um das wieder zu schaffen, müssen wir den Menschen den Freiraum lassen, wir müssen kreative Ideen in die Verwaltung hereintragen und auf Umsetzung drängen und wir müssen die Unternehmer in der Stadt unterstützen.
Hier wäre der Neubau am „Neuen Gymnasium“ zu nennen, der sich über das darunter liegende alte Blöchergebäude erstreckt und beides dadurch genial miteinander verbindet.
Dies geht auf die private Initiative des Investors zurück und es ist bezeichnend, dass das von offizieller Seite aus keine Erwähnung findet.

Noch mal - die Stadtgesellschaft besteht aus 2 Säulen: Gewerbe und Bürger.
Und beide werden im Rathaus nicht wertgeschätzt.

Chance

Kaum eine andere Stadt hat mitten im Rhein-Main-Gebiet so viel Fläche zur Verfügung. Mitten in Rüsselsheim stehen die Gebäude des Opel-Werkes. Es sind beispielhafte Industrieanlagen, die Zeugnis ablegen von bedeutenden historischen Ereignissen, von großen Leistungen in Architektur und Ingenieurwesen und von einer einzigartigen Unternehmens- und Industriegeschichte.
Ein Ensemble von Weltrang. Die Konversion und die damit verbundene Erschließung des Areals, das bis nach Bischofsheim reicht, ist eine einmalige Chance für unsere Stadt. Hier wird in der historischen Bausubstanz ein neuer Stadtteil entstehen, der Wohnen, Handel und Gewerbe in einer einzigartigen Kombination von Geschichte und Moderne miteinander verbindet.
Aber ohne eine professionelle Vermarktung und ohne eine Willkommenskultur werden wir das nicht hinbekommen.

Und um das positiv zu gestalten, müssen wir die Stadtplanung vom Kopf auf die Füße stellen:
Welche Art Stadt wollen wir eigentlich? Wie sollen und können die Menschen hier in Zukunft gut zusammenleben?
Bisher lassen wir uns von der Entwicklung überrollen, wir hinken hinterher, schaffen da mal Wohnraum, bauen da einen Kindergarten und hier eine Schule...
Die Frage ist aber doch: Wo geht eigentlich die Reise hin?
Oder besser gefragt: Wo wollen wir denn, dass die Reise hingeht?
Im alltäglichen Klein-Klein des Stadtparlaments, in den ewig wiederkehrenden Streitereien um Veranstaltungen, haben wir den Blick dafür verloren und ich würde mich freuen, wenn wir uns durch eine funktionierende Verwaltung wieder Luft verschaffen, dass wir darüber gemeinsam nachdenken können.
Derzeit traut man sich doch das Wort Visionen nicht in den Mund zu
nehmen, weil man schon ahnt, dass es sowieso nichts wird.

Und da müssen wir ansetzen

Ohne eine Modernisierung in der Verwaltung, ohne ein Umdenken in der Politik, die dann private Investoren wie früher als Partner für einen positive Entwicklung und nicht als Feinde sieht, wird das nicht zu schaffen sein.

Aber wir werden das schaffen, wenn wir aufhören, diese Stadt zum Spielball von Parteipolitik zu machen.
Ein Stadtverordnetenvorsteher, der sich nicht um die Abarbeitung demokratischer Beschlüsse kümmert, sondern lieber händeschüttelnd über den Marktplatz zieht ist hier ebenso wenig eine Hilfe wie jemand, der hier 6 Jahre lang Parteipolitik gemacht hat, sich dann 6 Jahre in keiner Weise für Rüsselsheim interessierte und hier erst wieder auftaucht, wenn die Karriere in Wiesbaden gescheitert ist.

Wir werden das schaffen, wenn wir diese Stadt mit gesundem Menschenverstand regieren, die Anliegen und Kompetenzen der Bürger ernst nehmen und als Gewinn und nicht als Belästigung verstehen.
Dann werden wir qualifizierte Kräfte auch an den Wohnort Rüsselsheim binden.
Dann schaffen wir ein sicheres und sauberes Stadtbild, wir schaffen gut ausgestattete Schulen, eine gute Kinderbetreuung, hochwertige Kultureinrichtungen und attraktive Wohngebiete.

Wir werden das schaffen, wenn wir konsequent, nachhaltig und über einen längeren Zeitraum an all diesen Herausforderungen arbeiten.
Das wird kein Spaziergang, aber ich bin bereit, alles dafür zu tun, dass es in dieser Stadt besser wird.

Verantwortung für Rüsselsheim.